- Rede
Normalisierung der Geldpolitik in unnormalen Zeiten
Rede von Fabio Panetta, Mitglied des Direktoriums der EZB, im Rahmen der Policy Lecture-Reihe des SAFE Policy Center an der Goethe-Universität und des Centre for Economic Policy Research (CEPR)
Frankfurt am Main, den 25. Mai 2022
Angesichts der fortschreitenden wirtschaftlichen Erholung und des aufgekommenen Inflationsdrucks haben die Zentralbanken der meisten fortgeschrittenen Volkswirtschaften nach der akuten Phase der Pandemie damit begonnen, ihre geldpolitischen Impulse zurückzufahren. Zentralbanker bezeichnen diesen Prozess in ihrem Jargon häufig als „Normalisierung“ der Geldpolitik.
Allerdings sind die Zeiten gerade keineswegs normal.
Im Gegensatz zu einigen anderen fortgeschrittenen Volkswirtschaften herrscht im Euroraum kein binnenwirtschaftlicher Nachfrageüberschuss. Wie EZB-Präsidentin Christine Lagarde kürzlich anmerkte, liegen die Konsumausgaben und Investitionen unter ihrem Vorkrisenniveau und sogar noch deutlicher unterhalb der Vorkrisentrends.[1]
Vielmehr sieht sich der Euroraum mit einem Krieg vor seiner Haustür konfrontiert – zusätzlich zu einer Reihe negativer Angebotsschocks, die ihren Ursprung im Ausland haben. Diese Schocks – vor allem der Anstieg der Energiepreise – sorgen auf kurze Sicht für einen erheblichen und anhaltenden Aufwärtsdruck auf die Inflation. Indem sie jedoch die Realeinkommen, das Vertrauen und letztlich die Binnennachfrage beeinträchtigen, könnten diese Schocks die wirtschaftliche Erholung nach der Pandemie gefährden.
Mit anderen Worten: Genau dieselben Schocks, die für einen starken Inflationsanstieg gesorgt haben, belasten auch die Wirtschaftsleistung. Infolgedessen hat der Inflationspfad einen deutlich höheren Ausgangspunkt, doch die mittelfristigen Inflationsaussichten sind von großer Unsicherheit geprägt.
In dieser Situation muss die Normalisierung der Geldpolitik klar festgelegt und ihre Durchführung sorgfältig abgewogen und kalibriert werden. In meinen heutigen Ausführungen werde ich darlegen, was die Normalisierung der Geldpolitik bedeutet, welche Auswirkungen diese Normalisierung für unsere geldpolitischen Instrumente hat und wie weit sie gehen sollte.
Angesichts der außergewöhnlich hohen Unsicherheit sollten wir bei der Normalisierung unserer Geldpolitik vorerst graduell vorgehen, entsprechend den schrittweisen Anpassungen, von denen unser Handeln in den letzten Monaten geprägt war.
Was ist Normalisierung?
Lassen Sie mich zunächst definieren, was unter Normalisierung zu verstehen ist und was nicht.
Normalisierung setzt dann ein, wenn sich die mittelfristige Inflation dem Preisstabilitätsziel[2] der Zentralbank annähert und diese daraufhin ihre geldpolitischen Parameter anpasst, um dieses Ziel dauerhaft zu erreichen.
Normalisierung bezeichnet mit anderen Worten eine Situation, in der sich die Geldpolitik ändert: von einem Kurs, der auf eine Anhebung der Inflationsrate abzielt – zum Beispiel durch eine expansivere Geldpolitik – zu einem Kurs, der den Inflationsverlauf im Bereich des Zielwerts zementieren soll.
Drei wichtige Unterscheidungen müssen wir in Bezug auf die Normalisierung treffen.
Normal bedeutet nicht neutral
Erstens ist Normalisierung nicht gleichbedeutend mit einem neutralen geldpolitischen Kurs. Von Letzterem spricht man, wenn die Geldpolitik für die Wirtschaft weder akkommodierend noch kontraktiv ist. Ein neutraler Kurs ermöglicht es der Zentralbank, die Inflation im Bereich ihres Zielwerts zu stabilisieren, wenn das Produktionspotential erreicht ist und der Inflationsverlauf nicht durch vorübergehende Schocks gestört wird.
Herrscht jedoch eine Situation, in der die wirtschaftlichen Aussichten durch Schocks getrübt werden, die Unsicherheit hoch ist und die Wirtschaftsleistung nach wie vor hinter ihrem Potenzial zurückbleibt, wäre zur Zementierung des Inflationsverlaufs bei 2 % eine allmähliche Rücknahme der Akkommodierung erforderlich, sodass die Stimulierungsmaßnahmen allmählich zurückgefahren werden, aber nicht auf einmal verschwinden.
Normal bedeutet nicht theoretisch
Zweitens sollte der Normalisierungsprozess nicht anhand von nicht beobachtbaren Referenzgrößen wie dem natürlichen (oder neutralen) Zins[3] und einer optimalen oder „normalen“ Größe und Zusammensetzung der Zentralbankbilanz auf lange Sicht bewertet werden. Diese Konzepte sind selbst im besten Fall nur vage Orientierungshilfen und insbesondere im derzeitigen Umfeld mit großer Unsicherheit behaftet.
Vor der Pandemie wurde der natürliche Realzins für den Euroraum je nach angewandtem Modell auf knapp über 0 % bis unter -2 % geschätzt.[4] Tatsächlich liegen die Indikatoren für die realen Zinsen bereits am oberen Ende dieser Spanne. Beispielsweise stieg der erwartete einjährige reale Terminzinssatz in neun Jahren[5] vor Kurzem deutlich an und erreichte 0 %.
Doch der natürliche Zins ist zurzeit besonders schwer zu schätzen, nicht zuletzt, weil die Pandemie alle gängigen Modelle für seine Berechnung durcheinandergebracht hat. Alles was wir mit Sicherheit sagen können ist, dass der natürliche Zins gegenüber dem Zeitraum vor der globalen Finanzkrise deutlich zurückgegangen ist, und dass die Schätzungen ungenau sind und weit auseinandergehen. Daher können sie nicht als konkrete Orientierungshilfe für die Geldpolitik dienen.
Was die normale Größe und Zusammensetzung der Zentralbankbilanz betrifft, so ist das Bild zusätzlich getrübt. Es ist unwahrscheinlich, dass die vor der globalen Finanzkrise vorherrschende Größe und Zusammensetzung noch eine aussagekräftige Vergleichsgröße darstellt. Wir können vermuten, dass die optimale Bilanz in puncto Größe und Zusammensetzung heutzutage anders aussehen würde. Allerdings gab es zu diesem Aspekt bislang kaum empirische Untersuchungen[6], sodass er sich ebenso wenig als konkrete geldpolitische Orientierungshilfe eignet.
Angesichts dieser Unsicherheit sollten wir Normalisierung als Veränderung des Akkommodierungsgrades betrachten, für den wir auf Basis der mittelfristigen Inflationsaussichten sorgen, und nicht als die Distanz unserer geldpolitischen Instrumente von ihren nicht beobachtbaren theoretischen Niveaus.
Sollten wir also Schocks feststellen, die zu einer Aufwärtskorrektur der mittelfristigen Inflationsentwicklung führen würden, dann würden wir unseren geldpolitischen Kurs dahingehend ändern, dass die Akkommodierung rascher zurückgefahren wird – und umgekehrt – um die Inflation auf mittlere Sicht auf dem Niveau unseres Zielwerts zu halten.
Normal bedeutet nicht konventionell
Drittens bedeutet Normalisierung nicht, unkonventionelle Instrumente rascher anzupassen als konventionelle. Bei der Überprüfung unserer geldpolitischen Strategie, die wir im vergangenen Jahr abgeschlossen haben, wurde klar kommuniziert, dass beide Arten von Instrumenten wesentliche und bleibende Komponenten unseres Instrumentariums darstellen. Entscheidend ist, die Kombination von Instrumenten zu finden, mit der sich der erforderliche geldpolitische Kurs auf möglichst wirksame und verhältnismäßige Weise umsetzen lässt.
Bei der EZB verfügen wir zurzeit über drei wesentliche Hebel, die wir prinzipiell zur Anpassung der Geldpolitik nutzen können.
Der erste sind die Zinsen. Sie haben einen stärkeren Einfluss auf die kurz- und mittelfristigen Segmente der risikofreien Zinsstrukturkurve.
Der zweite Hebel sind die Ankäufe von Vermögenswerten. Sie wirken sich stärker auf das längere Ende der Zinsstrukturkurve und auf die Risikoprämien aus.
Der dritte ist die Bereitstellung von Liquidität über unsere gezielten längerfristigen Refinanzierungsgeschäfte (GLRGs). GLRGs beeinflussen die Transmission von Referenzzinssätzen auf die Kreditvergabebedingungen der Banken sowie die allgemeinen Liquiditätsbedingungen an den Finanzmärkten. Dies wiederum hilft dabei, die kurzfristigen Geldmarktzinsen zu steuern, und hat Einfluss auf die Risikoprämien.[7]
Um den erwünschten geldpolitischen Kurs zu erreichen, können unterschiedliche Kombinationen von Instrumenten eingesetzt werden.
Wenn wir beispielsweise die Nettoankäufe einstellen, den Bestand an erworbenen Vermögenswerten aber weiterhin reinvestieren, wird unsere Bilanz durch den sogenannten Bestandseffekt die Wirtschaft auch danach noch unterstützen[8], aber nicht mehr für zusätzliche Akkommodierung sorgen. Aus technischen Gründen wird der Grad an geldpolitischer Akkommodierung, die hierdurch bereitgestellt wird, in den nächsten Jahren wahrscheinlich zurückgehen.[9]
Der angemessene geldpolitische Kurs könnte daher im Prinzip darin bestehen, dass ein konstanter Bestand an Vermögenswerten, die im Rahmen unseres Programms zum Ankauf von Vermögenswerten (Asset Purchase Programme – APP) und unseres Pandemie-Notfallankaufprogramms (Pandemic Emergency Purchase Programme – PEPP) erworben wurden, beibehalten wird. Zugleich würden wir die Zinsen nutzen, um den Grad an geldpolitischer Akkommodierung anzupassen – solange diese Kombination von Instrumenten weiterhin mit der Stabilisierung der Inflation bei 2 % auf mittlere Sicht in Einklang steht.
Insgesamt gesehen ist diese Definition von Normalisierung mit unserer Strategie eines direkten Inflationsziels vereinbar. Es geht weder darum, nicht beobachtbare natürliche Rahmenbedingungen für unsere Instrumente anzustreben, noch bestimmte Instrumente anderen vorzuziehen. Vielmehr geht es darum, einen effizienten Instrumentenmix einzusetzen, um den geldpolitischen Kurs zu erreichen, der die Inflation mittelfristig wirksam bei 2 % zementiert.
Kalibrierung der Normalisierung der Geldpolitik
Wenngleich das Ziel der Normalisierung relativ unkompliziert ist, so erweist sich die Kalibrierung dieses geldpolitischen Normalisierungsprozesses im Euroraum heute als außerordentlich komplex.
Meines Erachtens müssen wir zwei Prinzipien anwenden, um den Normalisierungsprozess richtig auszurichten. Das erste Prinzip ist die graduelle Vorgehensweise, das zweite die Robustheit.
Diese Prinzipien können uns wiederum dabei helfen, die Geschwindigkeit der Normalisierung und den Mix von Instrumenten festzulegen.
Graduelle Vorgehensweise
Wie von William Brainard in seinem Grundlagenwerk ausgeführt ist eine graduelle Vorgehensweise notwendig, wenn die Transmission von geldpolitischen Änderungen auf die Wirtschaft ungewiss ist.[10] Unter solchen Bedingungen gehört es zur optimalen Geldpolitik, umsichtig vorzugehen und zu beobachten, wie die Wirtschaft auf eine allmähliche Anpassung reagiert.
Eine graduelle Vorgehensweise ist heute im Euroraum aus mehreren Gründen eindeutig angebracht.
Erstens sorgen die Art und die Stärke der jüngsten Schocks für extreme Unsicherheit, was die wirtschaftlichen Aussichten in nächster Zeit betrifft. Die Bandbreite der denkbaren Entwicklungen ist groß.
Die Wirtschaft war einer Reihe von negativen globalen Angebotsschocks in Form von stark steigenden Energie- und Rohstoffpreisen ausgesetzt. Diese wurden durch Lieferengpässe noch verschärft.
Der russische Einmarsch in die Ukraine und die „Zero-Covid“-Politik in China verlängern und verstärken nun diese Schocks, die alle zu der sehr hohen importierten Inflation beitragen. Die höheren Kosten für Importe hingegen beeinträchtigen die Binnennachfrage und verhindern, dass die Wirtschaftsleistung ihre volle Kapazität erreicht. Dies verstärkt wiederum die negativen Auswirkungen des Krieges auf das Vertrauen.
Es ist schwer abschätzbar, wie weit die diesbezüglichen Auswirkungen auf das Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher und der Unternehmen im Euroraum reichen und wie lange sie andauern werden. Die in diesem Jahr festgestellte Abschwächung der Konsumausgaben deutet zudem darauf hin, dass die gestiegenen kurzfristigen Inflationserwartungen nicht bewirken, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher Anschaffungen vorziehen. Wie jüngste Forschungsergebnisse zeigen[11], führt sie vielmehr dazu, dass die privaten Haushalte ihre realen Einkommen pessimistischer einschätzen und ihre Konsumausgaben reduzieren.[12] Mit anderen Worten: Der von der höheren Inflation ausgehende belastende Effekt auf den Konsum wirkt über die erwartete – und nicht nur die tatsächlich eingetretene – Beeinträchtigung der Realeinkommen.
Womöglich unterschätzen wir auch, welche Auswirkungen die Verschärfung der Finanzierungsbedingungen in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften und die zeitgleiche Konjunkturabschwächung in China insgesamt auf das weltweite Wachstum haben werden. Jüngste Umfrageergebnisse deuten darauf hin, dass der Optimismus bezüglich der weltweiten Wachstumsaussichten auf ein Rekordtief gefallen ist.[13]
Der zweite Grund, weswegen eine graduelle Vorgehensweise angemessen ist, liegt darin, dass wir die Effekte der Rücknahme der Akkommodierung erst dann wirklich einschätzen können, wenn wir Rückmeldungen darüber erhalten, wie die Wirtschaft darauf reagiert. Dies ist auf die Beispiellosigkeit der Schocks, denen wir uns gegenübersehen, und das Fehlen verlässlicher Referenzgrößen für unseren geldpolitischen Kurs zurückzuführen. Das bedeutet, dass wir nicht nur weiche Frühindikatoren – wie die Inflationsprojektionen und -erwartungen oder Vertrauensindikatoren – beobachten, sondern auch harte Daten zu Finanzierungsbedingungen und Wirtschaftstätigkeit bewerten. Wir werden daher schrittweise vorgehen und unsere Geldpolitik bei Bedarf neu bewerten und anpassen müssen.
In einem Umfeld, in dem die Gesamtverschuldung der Wirtschaft hoch ist, könnten geringfügige Zinserhöhungen stärkere Auswirkungen haben. Einige Belege hierfür sind in den Vereinigten Staaten bereits feststellbar. Dort reagieren einige hoch verschuldete Segmente der Vermögensmärkte – wie der Technologiesektor – stark und nicht linear auf Anpassungen der Geldpolitik. Während der Pandemie hat sich die Nachfrage hauptsächlich auf zinssensitive Sektoren wie Gebrauchsgüter und das Baugewerbe konzentriert. Dies könnte auch bedeuten, dass Zinserhöhungen erhebliche Auswirkungen auf die Nachfrage haben werden.
Die beträchtliche Unsicherheit in Bezug darauf, wie die Straffung der Geldpolitik durch die allgemeinen Finanzierungsbedingungen und auf den gesamten Euroraum übertragen wird, ist ein weiterer Grund, weshalb wir in kleinen Schritten vorgehen sollten. Normalerweise werden Finanzmärkte an konjunkturellen Wendepunkten volatiler, und die Kreditvergabepolitik der Banken wird schwieriger zu prognostizieren.[14] Im Euroraum wird dieser letztgenannte Effekt durch das Auslaufen der GLRGs verstärkt.
Ein schrittweiser Ansatz ist natürlich nicht unter allen Umständen passend. Bei deflationären Schocks etwa, welche die Gefahr einer Verankerung der Zinsen an der Untergrenze mit sich bringen, lohnt es sich, entschlossener vorzugehen.[15] Gleiches gilt, wenn eine Entankerung der Inflationserwartungen droht oder erste Anzeichen einer beginnenden Lohn-Preis-Spirale zu erkennen sind.[16]
Der aktuelle kurzfristige Inflationsdruck kann auf die Inflationserwartungen übergreifen und in einen länger anhaltenden Inflationsdruck münden. Diese Risiken müssen sorgfältig abgewogen werden, wenn wir darüber entscheiden, wie schnell wir die Akkommodierung zurücknehmen und welchen Weg wir dafür wählen.
Falls wir eindeutige Anzeichen einer Entankerung der mittelfristigen Inflationserwartungen wahrnehmen würden, würden wir das Tempo der Rücknahme erhöhen, und wir könnten noch weiter gehen und falls nötig einen restriktiven Kurs einschlagen. Bislang ist nicht festzustellen, dass sich dieses Szenario einer „hässlichen Inflation“ konkretisiert,[17] doch wir müssen die Risiken im Auge behalten. Aktuell sind die um Risikoprämien bereinigten marktbasierten Inflationsmessgrößen damit vereinbar, dass wir Ende 2024 unser Inflationsziels von 2 % erreichen werden und die Inflationsrate ab 2025 bei knapp 2 % liegen wird.[18]
Robustheit
Kommen wir nun zum zweiten Prinzip. Diesbezüglich müssen wir den Instrumentenmix auswählen, der hinsichtlich des breiten Spektrums der plausiblen Szenarien, die uns erwarten, am robustesten ist.[19]
Dies erfordert, dass wir zur Normalisierung unserer Geldpolitik nicht alle Instrumente auf einmal einsetzen. So können wir die Unsicherheit minimieren und das Risiko einer Beeinträchtigung der Finanzstabilität reduzieren.
Die natürliche Vorgehensweise wäre es, mit einer Zinsanhebung zu beginnen und dabei den Bestand der im Rahmen des APP und des PEPP erworbenen Vermögenswerte konstant zu halten. Dies scheint aus einer Reihe von Gründen der am besten geeignete Ansatz zu sein.
Erstens dürfte das Volumen unserer Bilanz ohnehin deutlich zurückgehen, und ihre Zusammensetzung wird sich angesichts des Auslaufens der GLRGs ändern. Dies wird letztendlich zu einer Reduzierung der Überschussliquidität um rund 2,2 Billionen € führen.
Zweitens müssen wir nicht riskieren, die Finanzmärkte durch eine passive Reduzierung der Bilanzsumme oder aktive Verkäufe von Anleihen in unserer Bilanz zu verunsichern, da wir die notwendige Rücknahme der Akkommodierung auf andere Weise fortsetzen könnten. Wenn wir beginnen, den Bestand der im Rahmen des APP und des PEPP erworbenen Wertpapiere zu reduzieren, so dürfte dies die Auswirkungen von Zinsänderungen sowohl entlang der Zinsstrukturkurve als auch auf die Risikoprämien verstärken, insbesondere wenn die Liquidität zurückgeht.
Drittens verfügen wir im Euroraum zwar über reichlich Erfahrung damit, wie Ankäufe von Vermögenswerten und Leitzinsen sich im Rahmen einer Lockerungsstrategie gegenseitig verstärken können, doch mit dem umgekehrten Szenario haben wir keine Erfahrung. Und die Erfahrungswerte anderer großer Zentralbanken dürften sich, so begrenzt sie auch sind, nicht auf den Euroraum übertragen lassen, da unsere wirtschaftlichen, finanziellen und institutionellen Gegebenheiten einzigartig sind.
Vor diesem Hintergrund werden wir die Folgen der Vorgehensweise, die Zinsen schrittweise anzupassen und unsere Bilanzsumme dabei konstant zu halten, sehr viel besser vorhersehen zu können.
Die Rücknahme der Akkommodierung über die Leitzinsen ermöglicht uns daher, die Anpassung, die mit einer Inflation von 2 % auf mittlere Sicht im Einklang steht, besser zu kalibrieren. Damit verringert sich auch das Risiko einer Überkorrektur, welche die Wirtschaft dauerhaft beeinträchtigen würde. Und wir haben gleichzeitig die Möglichkeit, schneller vorzugehen, wenn sich die Gefahr von Zweitrundeneffekten abzeichnet.
Eine Verschärfung des geldpolitischen Kurses durch Zinsänderungen wäre für uns zudem einfacher zu kommunizieren und für die Öffentlichkeit leichter zu verstehen. So könnten das Vertrauen gestärkt und die Zinserwartungen bei unserem Zielwert verankert werden.
Sind die Nettoankäufe von Vermögenswerten beendet und wird der Bestand reinvestiert, dann ist die Zinspolitik als Hauptinstrument zum Erreichen dieser verschiedenen Ziele der Bilanzpolitik deutlich überlegen.
Das ist die Position der EZB. Zurzeit beabsichtigen wir, den Nettoerwerb von Vermögenswerten im dritten Quartal einzustellen. Wir beabsichtigen jedoch, die Tilgungsbeträge der Wertpapiere bei Fälligkeit vollumfänglich wieder anzulegen, auch nach dem Ende der Nettoankäufe von Vermögenswerten, und nachdem die Leitzinsen zu steigen begonnen haben.
Geldpolitische Implikationen
Was bedeutet dies zum jetzigen Zeitpunkt für den Normalisierungsprozess der EZB?
Vorbehaltlich der jeweils aktuellen Datenlage – wir richten uns nach den Daten und das sollte auch in Zukunft so bleiben – rechtfertigen sowohl die Wirtschaftsaussichten als auch die von mir dargelegten Prinzipien die Einstellung der Nettoankäufe von Vermögenswerten und den anschließenden schrittweisen Ausstieg aus den Negativzinsen. So könnten wir unsere Geldpolitik weiter normalisieren, indem wir denjenigen Bestandteil unserer geldpolitischen Akkommodierung zurücknehmen, der nicht mehr nötig ist. Insbesondere können negative Zinssätze zu Verzerrungen führen, die nur dann notwendig und verhältnismäßig waren, als die Gefahr bestand, dass die Inflation im Vergleich zu unserem Zielwert auf mittlere Sicht zu niedrig ist.Die erste Anpassung ist bereits im Gang. Die EZB hat schon zwei wichtige Ankündigungen zu den Anleihekäufen gemacht, erstmals im Dezember letzten Jahres und dann erneut im März, als wir unsere Erwartung signalisierten, dass die Nettoankäufe von Vermögenswerten im dritten Quartal dieses Jahres eingestellt werden. Derweil werden die mit unserer Wiederanlagestrategie verbundenen Bestandsgrößeneffekte dafür sorgen, dass die Rücknahme der Akkommodierung allmählich vonstattengeht. So wird verhindert, dass in einem bereits sehr volatilen und unsicheren Umfeld Finanzstabilitätsrisiken entstehen.
Durch die zweite Anpassung - die Anpassung unseres Einlagensatzes - könnte dem jüngsten Anstieg der mittelfristigen Inflationserwartungen Rechnung getragen werden. Sie würde mit einer allmählichen Rücknahme der Akkommodierung in Einklang stehen, uns aber noch ermöglichen, die Wirtschaftsleistung wieder an ihr Potenzial heranzuführen. Gleichzeitig würde sie aber auch die Zielrichtung der Normalisierung bestätigen, die bereits zu höheren Zinserwartungen geführt hat.
Bis wir über die nächsten Schritte nachdenken, werden uns mehr Informationen als Grundlage für unsere Entscheidungen vorliegen. Insbesondere werden wir im Hinblick auf zwei Entwicklungen mehr Klarheit haben:
Erstens, wie stark die Wirtschaft auf die beträchtlichen Anpassungen der Finanzierungsbedingungen reagiert, die bereits im Gang sind. Anhand dessen können wir abschätzen, ob das Tempo, in dem wir die Akkommodierung zurücknehmen, angemessen ist.
Wir haben in den letzten Monaten bereits einen deutlichen Anstieg der nominalen Renditen und realen Zinssätze festgestellt. In der Wirtschaft findet tatsächlich bereits eine Anpassung statt. Unserer jüngsten Umfrage zum Kreditgeschäft zufolge gehen die Banken davon aus, dass sie ihre Kreditbedingungen in den kommenden Quartalen deutlich verschärfen werden.[20]
Zweitens geht es darum zu erfahren, wie widerstandsfähig die Binnenwirtschaft gegenüber dem Zusammenwirken der Kriegsfolgen, niedriger Reallöhne und sich eintrübender Aussichten für die Weltwirtschaft ist.
Bislang beobachten wir eine deutliche Abschwächung der weichen Frühindikatoren.[21] In den harten Daten[22] machen sich Anzeichen von wirtschaftlicher Anspannung bemerkbar. Diese Anzeichen könnten in den kommenden Monaten stärker zutage treten.
Sich vor diesem Hintergrund im Voraus auf weitere Schritte festzulegen oder diese auszuschließen scheint unnütz und unklug.
Die Unsicherheit, mit der wir gegenwärtig konfrontiert sind, erschwert eine genaue Prognose der Wirtschaftsentwicklung über die kurzen Zeithorizonte hinaus. Spekulationen über geldpolitische Maßnahmen, die einen längeren Zeitraum abdecken, würden in Anbetracht dieser Umstände zum aktuellen Zeitpunkt keinen Sinn machen, da in nächster Zeit noch weitere Informationen benötigt werden.
Eine entscheidende Frage bei der Festlegung des Normalisierungsprozesses wird sein, wie sich Zinserhöhungen im gesamten Euroraum übertragen. Die gleichmäßige und reibungslose Transmission der Geldpolitik zu gewährleisten und ein angemessenes Maß an geldpolitischer Normalisierung zu erreichen, sind zwei Seiten derselben Medaille. Und das ist für die EZB nichts Neues.
Während der Erholung von der globalen Finanzkrise wendete die EZB den „Trennungsgrundsatz“ auf ihre unterschiedlichen geldpolitischen Instrumente an. Dadurch konnten Maßnahmen, die einer Fragmentierung der Finanzmärkte entgegenwirken, unabhängig von der Höhe der Zinsen eingesetzt werden. Die Logik dahinter war, dass die Umsetzung des angemessenen geldpolitischen Kurses nicht zulasten der Transmission des Kurses über den Finanzsektor erfolgen dürfe.
Ein vergleichbarer Grundsatz sollte meiner Meinung nach auch heute gelten. Insbesondere sollten wir bereit sein, soweit erforderlich einzugreifen, um etwaige sich aus steigenden Zinsen ergebende nicht lineare Marktreaktionen zu neutralisieren, und die Auswirkungen einer asymmetrischen Straffung der Finanzierungsbedingungen innerhalb des Euroraums abzumildern. Mit anderen Worten sollten wir die Gefahr eines „Normalisierungstantrums“ vermeiden.
Ein Anti-Fragmentierungsinstrument dieser Art wäre sogar noch nützlicher, wenn erste Anzeichen einer Entankerung der Inflationserwartungen oder das Risiko einer Lohn-Preis-Spirale zu erkennen wären, was eine raschere Anhebung der Zinsen gebieten würde. Wir sollten daher dafür sorgen, dass wir in die Lage kommen, glaubhaft mitteilen zu können, dass ein solches Anti-Fragmentierungsinstrument verfügbar und einsatzbereit ist.
Für die normale Durchführung der Geldpolitik im Euroraum ist es anders ausgedrückt von zentraler Bedeutung, Fragmentierungsrisiken entgegenzuwirken.
Zugleich ist die erfolgreiche Umsetzung der nationalen Reform- und Investitionspläne im Rahmen des Programms Next Generation EU für die Stärkung der makroökonomischen Widerstandsfähigkeit – wodurch auch Schwachstellen beseitigt werden, die für höhere Fragmentierungsrisiken sorgen – weiterhin von entscheidender Bedeutung. Gemeinsame europäische Investitionen zur Verringerung unserer Abhängigkeit bei der Energieversorgung würden dazu beitragen, die Auswirkungen der idiosynkratischen Schocks abzumildern, die der Krieg unter Umständen mit sich bringt.[23]
Schlussbemerkungen
Lassen Sie mich nun zum Schluss kommen.
Die EZB hat zurzeit mit den wirtschaftlichen Auswirkungen einer beispiellosen Reihe von Schocks zu tun, die ihren Ursprung im Ausland haben. Wie andere wichtige Zentralbanken stehen wir heute vor der Aufgabe, unsere Geldpolitik in einer Zeit normalisieren zu müssen, die alles andere als normal ist.
Wie wir die Wirtschaft des Euroraums während der Pandemie vor Deflation geschützt haten, so werden wir in dieser schwierigen Situation die mittelfristige Preisstabilität gewährleisten.
Normalisierung bedeutet nicht, die geldpolitischen Impulse gänzlich zurückzufahren. Vielmehr ist es ein Prozess, diese Impulse allmählich so zu reduzieren, dass die Inflation auf mittlere Sicht fest bei 2 % verankert wird. Dieser Prozess hat im Euroraum bereits begonnen.
Die Normalisierung gut hinzubekommen ist keine einfache Aufgabe, denn die Wirtschaft des Euroraums hat mit Aussichten zu kämpfen, die von außergewöhnlicher Unsicherheit geprägt sind. Dies bedeutet, dass wir bei der Normalisierung unserer Geldpolitik graduell vorgehen und einen Mix von Instrumenten auswählen sollten, der gegenüber den vielfältigen plausiblen Szenarien, mit denen wir konfrontiert werden könnten, robust ist.
Diese bewährten Prinzipien haben sich in der Vergangenheit für Zentralbanken als besonders hilfreich erwiesen. Wir sollten ihnen auch heute treu bleiben.
C. Lagarde, Monetary policy normalisation in the euro area, Der EZB-Blog, 23 Mai 2022.
Im Falle der EZB entspricht das Preisstabilitätsziel einer mittelfristigen Inflation von 2 %.
Der natürliche Zins ist das reale Zinsniveau, bei dem die Wirtschaftsleistung das Niveau ihres Potenzials erreicht und sich die Inflation gleichzeitig beim Zielwert der Zentralbank stabilisiert, sofern keine transitorischen Schocks oder nominale Rigiditäten bestehen. Siehe C. Brand, M. Bielecki und A. Penalver (Hrsg.) EZB, The natural rate of interest: estimates, drivers, and challenges to monetary policy, Occasional Paper Nr. 217, Dezember 2018.
Siehe Abbildung 16 in F. Panetta, Small steps in a dark room: guiding policy on the path out of the pandemic, Rede anlässlich eines Online-Seminars des Robert Schuman Centre for Advanced Studies und der Florence School of Banking and Finance am European University Institute, 28. Februar 2022. Siehe C. Brand, M. Bielecki und A. Penalver (Hrsg.), a. a. O., 2018 und P. R. Lane, The monetary policy strategy of the ECB: the playbook for monetary policy decisions, Rede an der Hertie School, Berlin, 2. März 2022.
Die „einjährigen realen Terminzinssätze in neun Jahren“ sind die einjährigen realen Zinssätze, die nach Einschätzung des Marktes in neun Jahren herrschen werden.
Die Literatur zur optimalen Größe der Zentralbankbilanz ist beschränkt. Erstmals wurde dieser Gedanke von Charles Goodhart erörtert, und zwar in C. Goodhart, A Central Bank’s optimal balance sheet size?, CEPR Discussion papers, Nr. 12272, Centre for Economic Policy Research, 2017. Was die Bilanz der EZB anbelangt, so gibt es keine etablierte Auffassung bezüglich der auf lange Sicht wünschenswerten („optimalen“) Größe und Zusammensetzung. Es ist jedoch klar, dass bei der Bestimmung der optimalen Größe und Zusammensetzung den Erkenntnissen aus der globalen Finanzkrise, der Staatsschuldenkrise und der Coronakrise Rechnung getragen werden müsste. Darüber hinaus wurden bilanzpolitische Maßnahmen als wichtiger Teil des geldpolitischen Instrumentariums der EZB erkannt, wie in der Erklärung zur geldpolitischen Strategie der EZB dargelegt. Siehe auch C. Altavilla, W. Lemke, T. Linzert, J. Tapking und J. von Landesberger, Assessing the efficacy, efficiency and potential side effects of the ECB’s monetary policy instruments since 2014, Occasional Paper Series der EZB, Nr. 278, September 2021.
F. Barbiero, M. Boucinha und L. Burlon, TLTRO III and bank lending conditions, Wirtschaftsbericht der EZB, Ausgabe 6, 2021.
Bestandseffekte von erworbenen Vermögenswerten beziehen sich auf die anhaltenden Änderungen der Anleihekurse aufgrund der nachfolgenden Schwankungen des (risikobereinigten) Anleihebestands, den private Anleger vermutlich halten. Insbesondere führen Ankäufe von Vermögenswerten zu einem Rückgang der Laufzeitprämien, indem Durationsrisikopositionen vom Markt abgezogen werden (siehe C. Altavilla et al., a. a. O.). Da die Märkte zukunftsorientiert sind, treten Bestandseffekte in der Regel bei Bekanntgabe geldpolitischer Beschlüsse (oder in Erwartung der Bekanntgabe) ein und werden durch die erwartete zukünftige Entwicklung der Bestände an Vermögenswerten der Zentralbanken beeinflusst. Empirische Daten deuten darauf hin, dass Bestandseffekte für den Großteil der Auswirkungen der Ankäufe von Vermögenswerten verantwortlich sind und voraussichtlich länger anhalten (wobei ihre Dauer extrem schwierig zu beurteilen ist). Umgekehrt sind Stromgrößeneffekte in der wissenschaftlichen Literatur diejenigen Effekte, die durch die tatsächliche Umsetzung der Ankäufe entstehen und im Allgemeinen Verbesserungen der Liquiditätsbedingungen und der Funktionsfähigkeit der Märkte in starken finanziellen Stresssituationen widerspiegeln. Die Daten lassen darauf schließen, dass Stromgrößeneffekte in der Regel begrenzt und von kurzer Dauer sind. Bemerkenswert ist indes, dass der Begriff Stromgrößeneffekte zeitweise im Zusammenhang mit dem hohen Umfang von Programmen zum Ankauf von Vermögenswerten verwendet wurde, die als Reaktion auf die Coronakrise durchgeführt wurden und bei deren Bekanntgabe lediglich ihr Gesamtumfang und ihre Dauer festgelegt wurden. Aus dieser Perspektive helfen Stromgrößeneffekte dabei, die Bereitschaft der Zentralbank zur Bereitstellung einer umfangreichen geldpolitischen Akkommodierung zu signalisieren, und den Marktteilnehmern zu versichern, dass die Zentralbanken als große und geduldige Anleger präsent sind.
Der Abzug von Durationsrisikopositionen, der mit dem Bestand an von der EZB gehaltenen Wertpapieren zusammenhängt, verliert mit der Zeit an Wirksamkeit, da die Restlaufzeit (und somit die Duration) aller Wertpapiere allmählich abnimmt. Und die Wiederanlage fällig werdender Wertpapiere kann diesen Verlust nicht kompensieren. Da die Extraktion von Durationsrisiken im Laufe der Zeit gleichmäßig abnimmt, lassen die Auswirkungen auf die Laufzeitprämien tendenziell ebenfalls nach. Darüber hinaus wird das Volumen unserer Bilanz im Vergleich zu anderen ökonomischen Größen eher zurückgehen.
W. C. Brainard , Uncertainty and the Effectiveness of Policy, The American Economic Review, Bd. 57, Nr. 2, S. 411-425, 1967.
O. Coibion, D. Georgarakos, Y. Gorodnichenko und M. van Rooij, How Does Consumption Respond to News about Inflation? Field Evidence from a Randomized Control Trial, NBER Working Paper Series, Nr. 26106, National Bureau of Economic Research, Juli 2019. Basierend auf einer Umfrage unter niederländischen Haushalten, in der zufällig ausgewählte Untergruppen von Befragten Informationen zur Inflation erhalten, belegt die Publikation, dass ein Anstieg der Inflationserwartungen starke negative Auswirkungen auf die Gebrauchsgüterausgaben hat und dies vermutlich darauf zurückzuführen ist, dass niederländische Haushalte ihr Realeinkommen scheinbar zunehmend pessimistisch einschätzen.
Siehe Europäische Kommission, Business and consumer survey results for April 2022. Diese Umfrageergebnisse zeigen eine deutliche Verschlechterung der finanziellen Lage der privaten Haushalte und einen erheblichen Rückgang bei größeren Anschaffungen.
Siehe Global Fund Manager Survey der Bank of America, Mai 2022. Der Optimismus bezüglich der weltweiten Wachstumsaussichten ist definiert als der Anteil der Fondsmanager, die ein Wirtschaftswachstum erwarten. Dieser Anteil hat seinen niedrigsten Wert seit fast dreißig Jahren erreicht.
P. R. Lane, The euro area outlook: some analytical considerations, Rede bei Bruegel, 5. Mai 2022.
Im September 2020 habe ich beispielsweise argumentiert, dass das Risiko einer geldpolitischen Überreaktion deutlich geringer ist als das Risiko, dass die Geldpolitik zu langsam oder zu zurückhaltend reagiert und die Worst-Case-Szenarien eintreten. Siehe F. Panetta, Asymmetric risks, asymmetric reaction: monetary policy in the pandemic, Rede auf dem Treffen der Money Market Contact Group der EZB, 22. September 2020.
U. Söderström, Monetary Policy with Uncertain Parameters, The Scandinavian Journal of Economics, Ausg. 104, Nr. 1, S. 125-145, 2002.
In früheren Reden habe ich zwischen guter, schlechter und hässlicher Inflation unterschieden. Gute Inflation wird getragen von einer Binnennachfrage und Löhnen, die mit unserem Zielwert in Einklang stehen und von der Geldpolitik unterstützt werden sollten, bis dieser Zielwert erreicht ist. Schlechte Inflation ist auf negative Angebotsschocks zurückzuführen, die Preissteigerungen nach sich ziehen und die Wirtschaftstätigkeit beeinträchtigen. Diese Art der Inflation sollte die Geldpolitik außer Acht lassen. Die hässliche Inflation – die schlimmste Art Inflation – ist auf eine Entankerung der Inflationserwartungen zurückzuführen, welche die Geldpolitik unverzüglich eindämmen sollte. Siehe F. Panetta, Patient monetary policy amid a rocky recovery, Rede am Sciences Po, 24. November 2021, und F. Panetta, Small steps in a dark room: guiding policy on the path out of the pandemic, Rede anlässlich eines Online-Seminars des Robert Schuman Centre for Advanced Studies und der Florence School of Banking and Finance am European University Institute, 28. Februar 2022.
Auf Grundlage von um Risikoprämien bereinigten einjährigen inflationsindexierten Termin-Swapsätzen. Quelle: Refinitiv, Bloomberg und EZB-Berechnungen.
P. Levine et al., Risk management in action: robust monetary policy rules under structured uncertainty, Working Paper Series der EZB, Nr. 870, Frankfurt am Main, Februar 2008.
EZB, Umfrage zum Kreditgeschäft im Euro-Währungsgebiet, 12. April 2022.
Die jüngsten Umfragedaten waren schwächer als erwartet. Insbesondere ist im April 2022 der Indikator der wirtschaftlichen Einschätzung für den Euroraum erheblich zurückgegangen (von 114,5 im Februar 2022 auf 105 im April). Grund war das rückläufige Vertrauen in der Industrie, im Dienstleistungsbereich, im Einzelhandel und im Bausektor sowie bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern.
Die Industrieproduktion (ohne den Bausektor) ging im März massiv zurück (um 1,8 % gegenüber dem Vormonat) und liegt aktuell 0,6 % unter dem Vorpandemieniveau (im Februar 2020). Das BIP-Wachstum im Euroraum belief sich im ersten Quartal 2022 auf 0,3 % und in einigen wenigen Ländern kam es zu einem kräftigen Anstieg. In den großen Volkswirtschaften indes verlangsamte sich das BIP-Wachstum (Spanien), kam zum Erliegen (Frankreich und Niederlande) oder ging zurück (Italien). In Deutschland ist die Wachstumsdynamik laut Destatis schwach und lässt weiter nach. Dies zeigt deutlich: „Seit Ende Februar beeinflussen die wirtschaftlichen Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine die konjunkturelle Entwicklung zunehmend.“
F. Panetta, Europe’s shared destiny, economics and the law”, Lectio Magistralis anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde in Rechtswissenschaften durch die Università degli Studi di Cassino e del Lazio Meridionale, 6 April 2022.
Europäische Zentralbank
Generaldirektion Kommunikation
- Sonnemannstraße 20
- 60314 Frankfurt am Main, Deutschland
- +49 69 1344 7455
- media@ecb.europa.eu
Nachdruck nur mit Quellenangabe gestattet.
Ansprechpartner für Medienvertreter