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Christine Lagarde
The President of the European Central Bank
  • REDE

Die Bekämpfung der Inflation

Rede von Christine Lagarde, Präsidentin der EZB auf dem Deutschen Sparkassentag 2023 in Hannover

Frankfurt am Main, den 1. Juni 2023

Die Stadt Hannover hat eine große Bedeutung.

Ludwig Erhard beschrieb sie einmal als das „Sinnbild des deutschen Leistungsstrebens und des deutschen Lebenswillens“. Hannover ist zurecht stolz auf die Rolle, die es im Laufe der Jahre bei der Entwicklung der deutschen Industrie gespielt hat.

Dies ist nirgends so offensichtlich wie auf der Hannover Messe.

Seit ihrer Gründung im Jahr 1947 hat die Hannover Messe der Welt die Leidenschaft und das wirtschaftliche Potenzial der deutschen Arbeitskräfte und Unternehmen vor Augen geführt. Die Messe ist zu einem Symbol des deutschen Wirtschaftswunders geworden, das eng mit dem Wiederaufbau Deutschlands nach dem Krieg und dem darauf folgenden wirtschaftlichen und industriellen Erfolg zusammenhängt.

Ein Erfolg, zu dem die deutschen Sparkassen entscheidend beigetragen haben.

In ihrer mehr als 200-jährigen Geschichte haben sie sich stets als zuverlässiger finanzieller Partner erwiesen, der die deutsche Industrie in Zeiten von Krisen und Wandel unterstützt und gefördert hat. Es ist kein Zufall, dass etwa drei von vier Unternehmen in Deutschland Sparkassenkunden sind.[1]

Ihr Geschäftsfeld bildet zudem den Schnittpunkt zwischen unserer Geldpolitik und der Wirtschaft.

Für die Transmission unserer Geldpolitik auf Unternehmen und private Haushalte sind wir – in guten und in schlechten Zeiten – auf die Banken angewiesen. Unsere Leitzinsänderungen schlagen sich in den Bankkreditzinsen nieder. Dadurch ändert sich die Konsum- bzw. die Investitionsneigung der Menschen – und damit letzten Endes auch die Entwicklung des Wachstums, der Beschäftigung und der Inflation.

In diesem Sinne sind wir Partner beim Streben nach Preisstabilität, auch wenn wir unterschiedliche Ziele verfolgen.

Heute ist die Inflation zu hoch und dürfte es noch zu lange bleiben. Wir sind entschlossen, sie zeitnah auf unser mittelfristiges Ziel von 2 % zurückzuführen.

Aus diesem Grund haben wir die Zinsen so schnell angehoben, wie nie zuvor – und wir haben deutlich gemacht, dass noch einiges zu tun bleibt, um die Zinssätze auf ein ausreichend restriktives Niveau zu bringen.

Diese Zinserhöhungen wirken bereits stark auf die Kreditvergabebedingungen der Banken durch, auch hier in Deutschland. Wir wissen, dass – trotz unserer starken und raschen Zinserhöhungen – noch eine erhebliche Straffung der Geldpolitik ansteht.

Doch bleibt unsicher, wieviel stärker die Transmission unserer Geldpolitik ausfallen wird.

Daher müssen wir unseren Erhöhungszyklus fortsetzen, bis wir genug Zuversicht haben, dass sich die Inflation auf einem guten Weg befindet, zeitnah auf unseren Zielwert zurückzukehren. Zugleich müssen wir die Stärke unserer geldpolitischen Transmission auf die Finanzierungsbedingungen, die Wirtschaft und die Inflation sorgfältig prüfen.

Ich möchte heute erörtern, was wir bislang zur Bekämpfung der Inflation getan haben, und ich möchte die Faktoren erläutern, die unsere künftigen Entscheidungen zur Senkung der Inflation bestimmen werden.

Was wir bislang erreicht haben

Seit Beginn der Pandemie wird der Euroraum von einer Reihe plötzlicher, sich überschneidender und sich selbst verstärkender Schocks erschüttert. Diese haben zusammen die Inflation sprunghaft ansteigen lassen.

Angebotsseitige Schocks – insbesondere die Lieferengpässe aufgrund der Pandemie, die brutale Invasion Russlands in die Ukraine und die anschließende Energiekrise – haben die Vorleistungskosten für Unternehmen erhöht.

Dies war insbesondere hier in Deutschland stark zu spüren: Die Lieferzeiten der Unternehmen erreichten einen historischen Höchststand, wichtige Materialien sind knapp und die Erzeugerpreise für Energie sind – trotz des jüngsten Rückgangs – nach wie vor viel höher als im Januar 2021.[2] Das war ein wichtiger Grund dafür, dass die Wirtschaft über den Winter in eine Rezession geriet.

Gleichzeitig haben es nachfrageseitige Schocks – insbesondere der starke Anstieg der Ausgaben nach dem Wiederhochfahren der Wirtschaft – den Unternehmen ermöglicht, diese Kosten rascher und in stärkerem Maße als früher auf die Preise aufzuschlagen. Zusammen führten diese Schocks dazu, dass die Gesamtinflation im Euroraum letztes Jahr zeitweise bei über 10 % lag.

Zu Beginn dieser Phase war die Geldpolitik der EZB äußerst akkommodierend, da sie darauf ausgerichtet war, eine zehn Jahre andauernde zu niedrige Inflation und die deflationären Risiken durch die Lockdowns zu bekämpfen. Als wir jedoch eindeutige Belege dafür hatten, dass sich die Inflationsaussichten ändern würden, rissen wir das Ruder komplett – und zügig – herum.

Wir kündigten bereits im Dezember 2021 an, dass wir die Nettoankäufe von Vermögenswerten im Rahmen des Anleihekaufprogramms, das wir während der Pandemie eingeführt hatten, einstellen und die Nettoankäufe von Vermögenswerten im Rahmen des vorherigen Programms zum Ankauf von Vermögenswerten allmählich reduzieren würden.[3]

Als sich die Inflation Anfang 2022 beschleunigte, kündigten wir an, dass wir die Nettoankäufe im Rahmen aller Ankaufprogramme noch früher beenden würden. Infolgedessen zogen die längerfristigen Marktzinsen um fast 200 Basispunkte an, noch bevor wir mit der Erhöhung der Leitzinsen begonnen hatten.[4] Der Kampf hatte begonnen.

Wir begannen im Juli 2022 mit der Anhebung der Zinsen, und wir haben sie seitdem in weniger als einem Jahr um 375 Basispunkte angehoben – von -0,5 % auf aktuell 3,25 %.

Wir haben also bei der Bekämpfung der Inflation wohlüberlegt und entschlossen gehandelt. Und obwohl die Inflation immer noch zu hoch ist, befinden wir uns heute dank dieser raschen geldpolitischen Anpassung in einer anderen Lage.

Stellen Sie sich ein Flugzeug vor, das sich im Steigflug zur Reiseflughöhe befindet.

Beim Start muss das Flugzeug steil aufsteigen und stark beschleunigen. Wenn es sich aber seiner Zielhöhe annähert, kann die Beschleunigung reduziert und die aktuelle Geschwindigkeit beibehalten werden. Das Flugzeug muss hoch genug aufsteigen, um sein Ziel zu erreichen – aber nicht so hoch, dass es darüber hinausschießt.

Ähnlich verhielt es sich bei uns: Als wir damit begannen, die im negativen Bereich liegenden Zinsen zu erhöhen, lag in allen Szenarien ein steiler Anstieg vor uns. Daher war es für uns sinnvoll, rasch zu handeln.

Nun nähern wir uns unserer Reiseflughöhe – und das bedeutet, dass wir langsamer aufsteigen und dabei die Geschwindigkeit nutzen können, die wir bereits aufgebaut haben.

Mithilfe dieses Beispiels lässt sich veranschaulichen, weshalb wir bei unserer letzten Sitzung im Mai die Zinsen erneut angehoben und klargestellt haben, dass wir noch nicht am Ziel angelangt sind. Zugleich haben wir jedoch das Tempo der Zinserhöhungen gesenkt, auf einen standardmäßigeren Wert von 25 Basispunkten

Wie stark müssen wir die Zinsen noch erhöhen?

Das hängt von unserer Beurteilung der eingehenden Daten ab. Und damit die Öffentlichkeit besser nachvollziehen kann, welche Informationsquellen für uns bei diesen Entscheidungen eine Rolle spielen werden, haben wir unsere Reaktionsfunktion erläutert.

Drei Faktoren werden von entscheidender Bedeutung sein: die Inflationsaussichten, die Dynamik der zugrunde liegenden Inflation und die Stärke der geldpolitischen Transmission.

Ich werde nun erläutern, wie wir jeden dieser Faktoren zurzeit beurteilen.

Die Inflationsaussichten

Als Erstes betrachten wir die Inflationsaussichten, da sich Zinsänderungen mit starker Verzögerung auf die Wirtschaft auswirken[5]. Die von Fachleuten der EZB erstellten Projektionen sind unser bestes Instrument hierfür: Sie bieten ein umfassendes Bild der mittelfristigen Inflationsentwicklung und berücksichtigen dabei alle relevanten Wirtschafts- und Finanzinformationen.

Um sicher zu sein, dass wir den richtigen geldpolitischen Kurs gewählt haben, möchten wir in unseren Projektionen eine zeitnahe Rückkehr der Inflation auf 2 % sehen. Diese Zeitnähe ist wichtig, denn je länger die Inflation über unserem Zielwert verharrt, desto größer ist das Risiko, dass sie die Erwartungen der Menschen beeinflusst.

Im März lag die durchschnittliche jährliche Gesamtinflation für 2025 den Projektionen zufolge bei 2,1 % und damit immer noch leicht über unserem Zielwert. Zudem dürfte eine Rückkehr der jährlichen Inflationsraten auf 2 % erst in der zweiten Jahreshälfte 2025 eintreten. Bei unserer letzten Sitzung im Mai gelangten wir zu der Einschätzung, dass die neu verfügbaren Daten diese Projektionen weitgehend stützen.

Auf der Grundlage der letzten Projektionen können wir noch nicht sagen, dass wir mit den Inflationsaussichten zufrieden sind. Bei unserer Sitzung am 15. Juni werden uns allerdings neue Projektionen vorliegen, die uns ein aktualisiertes Bild geben, in dem die Effekte der seither stattgefundenen geldpolitischen Straffung berücksichtigt sind.

In jedem Fall wäre es in dem unsicheren und volatilen Umfeld, in dem wir uns zurzeit befinden, nicht vernünftig, unsere Geldpolitik ausschließlich auf mittelfristige Projektionen zu stützen, die mit zu großer Unsicherheit behaftet sind. Aus diesem Grund hat unsere Reaktionsfunktion ein zweites Element – die Dynamik der zugrunde liegenden Inflation.

Die zugrunde liegende Inflation

Die zugrunde liegende Inflation bezieht sich auf den langsam verlaufenden Teil der Inflation, der nach Abklingen der temporären Schocks mittelfristig anhalten wird. Daher können wir, wenn wir die zugrunde liegende Inflation betrachten, zuversichtlicher sein, dass sich die Inflation auf dem richtigen Weg befindet. Das hat einen bedeutenden Vorteil – die Messgrößen der zugrunde liegenden Inflation können in Echtzeit beobachtet werden.

Es gibt jedoch keinen eindeutigen Beleg dafür, dass die zugrunde liegende Inflation ihren Höchststand erreicht hat. Bis heute sind alle von der EZB beobachteten Messgrößen nach wie vor hoch. Ob dies weiterhin so bleibt, hängt in erster Linie vom Gleichgewicht zwischen zwei Kräften ab: Energiepreisen und Löhnen.

Einerseits hat der starke Anstieg der Energiepreise im letzten Jahr auf alle Preise durchgewirkt, auch auf jene Preise, die die verschiedenen Messgrößen der zugrunde liegenden Inflation bilden. Das ist darauf zurückzuführen, dass Energie ein wichtiger Faktor für jegliche Wirtschaftstätigkeit ist.

Seitdem sind die Energiepreise jedoch deutlich gesunken, was den gegenteiligen Effekt haben sollte. Die HVPI-Inflationsrate für Energie ist in Deutschland von 44,2 % im September 2022 auf 9,4 % im April 2023 zurückgegangen.

Dieser Rückgang der Energiekosten sowohl für die Verbraucher als auch für die Erzeuger dürfte wiederum die Fähigkeit der Unternehmen einschränken, ihre Gewinnmargen weiter zu erhöhen, was ein wichtiger Faktor für den jüngsten Preisdruck im Euroraum war.[6] Die Verbraucherinnen und Verbraucher sind in geringerem Maße bereit, unverhältnismäßige Preissteigerungen zu akzeptieren, wenn sie wissen, dass die Unternehmen niedrigere Energiekosten haben.

Andererseits wird der zunehmende Lohndruck eine immer wichtigere Antriebskraft für die Inflation. Bislang mussten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aufgrund der durch die Energiekrise verursachten Reduzierung des Gesamtarbeitseinkommens erhebliche Einbußen hinnehmen. Im Euroraum lagen die Reallöhne Ende letzten Jahres immer noch rund 4 Prozentpunkte unter dem vor der Pandemie verzeichneten Niveau.

Die Arbeitsmärkte im Euroraum sind jedoch angespannt, und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben eine starke Verhandlungsposition, die sie nun allmählich nutzen, um diese Verluste auszugleichen.

Besonders deutlich erkennbar ist das in Deutschland. Hier erreichte der Arbeitskräftemangel in der zweiten Hälfte des letzten Jahres einen historischen Höchststand.[7] Dies hat in vielen Sektoren zu starken Tarifvereinbarungen geführt. Das Lohnwachstum in Deutschland stieg von 3,9 % im vierten Quartal des vergangenen Jahres auf 5,1 % im ersten Quartal dieses Jahres.[8]

Um das klar zu sagen: ein Zeitraum, der von einem Aufholeffekt beim Lohnwachstum geprägt ist, muss im Zeitverlauf nicht zu einer unverhältnismäßig lang anhaltenden Inflation führen, wenn die Kosten des Energieschocks letztlich ausgewogen zwischen Unternehmen und Arbeitskräften aufgeteilt werden. Wenn wir allerdings im Umgang mit der Inflation ein gegenseitiges Hochschaukeln[9] beobachten – wenn also beide Parteien versuchen, etwaige Realeinkommensverluste auszugleichen[10] – dann könnte eine negative Spirale einsetzen.

Die geldpolitische Transmission

Die EZB darf nicht zulassen, dass dies geschieht. Da die Gewinne letztlich vom Konjunkturzyklus beeinflusst werden, liegt es in unserer Verantwortung, die Nachfrage ausreichend zu begrenzen, um eine solche Spirale zu verhindern. Dies sollte wiederum zu einem langsameren Margenwachstum und zu niedrigeren Lohnforderungen führen und gleichzeitig den Druck am Arbeitsmarkt verringern.

Um jedoch beurteilen zu können, ob die Zinsen hinreichend restriktiv sind, müssen wir wissen, wie stark unsere geldpolitische Straffung die Ausgaben in der Wirtschaft beeinflusst und voraussichtlich beeinflussen wird.

Aus diesem Grund ist die Transmission der Geldpolitik das dritte Element, das wir betrachten müssen.

Bisher wirken unsere Zinserhöhungen stark auf die refinanzierungskosten der Banken[11] und Bankkreditzinsen durch – sogar noch schneller als in früheren Erhöhungszyklen. Im Euroraum liegen die Zinsen für Bankkredite an Unternehmen derzeit bei 4,2 % und damit 267 Basispunkte höher als im Mai letzten Jahres. Das ist ihr höchster Wert seit Januar 2009.

Auch das Kreditvolumen der Banken schwächt sich ab, was zu einem deutlichen Rückgang des Geldmengenwachstums führt. Seit November sind die monatlichen Kreditströme an Unternehmen im Durchschnitt negativ. Auch bei der Geldmenge (M3) wurde ein negativer Trend verzeichnet, wodurch die jährliche Wachstumsrate von fast 12 % Mitte 2020 auf 1,9 % im April dieses Jahres eingebrochen ist.

Und die Banken berichten, dass sich die Kreditrichtlinien verschärfen, was künftig zu einem Rückgang der Kreditvergabe führen wird. Laut der jüngsten Umfrage der EZB zum Kreditgeschäft lag das Tempo der Verschärfung der Kreditrichtlinien per saldo auf seinem höchsten Stand seit der Staatsschuldenkrise im Jahr 2011.[12]

Das ist die beabsichtigte Wirkung unserer Geldpolitik: Wir wollen, dass sich die Finanzierungsbedingungen verschärfen. Bislang ging das auch nicht zulasten der Ertragslage der Banken, da die positiven Auswirkungen der höheren Zinssätze auf die Zinsmargen der Banken die negativen Auswirkungen auf das Volumen überwogen.[13]

Wir wissen jedoch, dass sich unsere Zinserhöhungen noch nicht vollständig in den Finanzierungsbedingungen niedergeschlagen haben. Und uns ist auch bewusst, dass die jüngsten Spannungen an den Finanzmärkten die Verschärfung noch verstärkt haben könnten, indem sie die Refinanzierungskosten für Banken in die Höhe getrieben und eine höhere Risikoaversion gefördert haben.

Daher müssen wir genau beobachten, wie sich dieser Weitergabeprozess entwickelt. Und wenn die jüngsten Spannungen bleibende Spuren auf den Märkten hinterlassen, würde ein bestimmtes Zinsniveau zu verschärften Finanzierungsbedingungen führen, was wiederum im Höchststand der Zinsen zum Ausdruck kommen müsste.

Gleichzeitig besteht auch Unsicherheit darüber, wie sich die verschärften Finanzierungsbedingungen auf die Wirtschaft auswirken und ob die Auswirkungen stärker oder schwächer ausfallen als in der Vergangenheit.

Unternehmen waren seit mehr als zehn Jahren nicht mehr mit einem steilen Anstieg der Finanzierungskosten konfrontiert, während sich die Wirtschaft in dieser Zeit erheblich verändert hat – und sich nach der Pandemie noch weiter verändern könnte. Das bedeutet, dass wir die Auswirkungen unserer Maßnahmen im Zeitverlauf genau beobachten müssen.

Wir sehen womöglich bereits erste Anzeichen für ihre sektorübergreifenden Auswirkungen.

Es hat sich eine deutliche Divergenz zwischen dem offenbar schrumpfenden verarbeitenden Gewerbe und dem expandierenden Dienstleistungssektor – dies gilt vor allem für den Freizeit- und den Tourismussektor – gebildet.

Dies lässt sich weitgehend durch anhaltende Wiederöffnungseffekte erklären: Die Menschen nehmen mehr Dienstleistungen in Anspruch, die ihnen während der Pandemie nicht zur Verfügung standen, wie z. B. Reisen und Essen in Restaurants, während sie weniger für Waren ausgeben, von denen sie während der Lockdowns Vorräte angelegt haben.

Aber auch die Geldpolitik kann eine Rolle spielen. Die verschärften Finanzierungsbedingungen könnten die Gesamtausgaben der privaten Haushalte bereits einschränken und sie zu einer Umschichtung zwischen den Sektoren zwingen.

Außerdem dürften die Ausgaben für langlebige Gebrauchsgüter stärker von den höheren Finanzierungskosten betroffen sein, da einige dieser Güter in der Regel über Kredite finanziert werden. Im Gegensatz dazu zeigen unsere Verbraucherumfragen, dass die straffere Geldpolitik, zumindest für diesen Sommer, die Urlaubspläne der Menschen nicht beeinträchtigen wird.[14]

In dem Maße, in dem sich unsere Zinserhöhungen auf die Wirtschaft auswirken, erhalten wir ein klareres Bild, inwieweit die bereits erfolgte geldpolitische Straffung stark genug wirkt – und wie viel mehr erforderlich ist, um sicherzustellen, dass die Inflation entschieden aus der Wirtschaft herausgedrängt wird.

Schlussbemerkungen

Lassen Sie mich nun zum Schluss kommen.

Das Motto der Sparkassen lautet: “Weil’s um mehr als Geld geht”. Und das trifft in vielerlei Hinsicht auch auf die EZB zu.

Unsere Aufgabe ist es, Geld zu schaffen und seinen Wert zu erhalten. Aber wir tun dies, weil Preisstabilität langfristig die besten und fairsten Voraussetzungen für Menschen und Unternehmen schafft.

Heute, um auf mein Beispiel zurückzukommen, steigt das Flugzeug immer noch – und es wird weiter steigen, bis wir genug Geschwindigkeit haben, um nachhaltig zu gleiten und an unserem Ziel zu landen.

Die von uns dargelegte Reaktionsfunktion wird allerdings dazu beitragen, in Zukunft das richtige Gleichgewicht für unsere geldpolitischen Entscheidungen zu finden: zwischen einer weiteren geldpolitischen Straffung zur Eindämmung der Inflation einerseits und der Unsicherheit über das Tempo und die Stärke der geldpolitischen Transmission andererseits.

Eines steht jedoch fest: Wir werden – entschlossen und unbeirrt – weitermachen, bis wir sehen, dass die Inflation zeitnah zu unserem mittelfristigen Ziel von 2 %- zurückzukehrt.

  1. Finanzgruppe Deutscher Sparkassen- und Giroverband, Inside the Savings Banks Finance Group, 2020.

  2. Bezieht sich auf Erzeugerpreise für Energieprodukte, siehe Destatis, Erzeugerpreisindex gewerblicher Produkte, 2023.

  3. Dies bezieht sich auf das Pandemie-Notfallankaufprogramm (PEPP) bzw. das Programm zum Ankauf von Vermögenswerten (APP).

  4. Gegenüber ihrem Niveau vom Dezember 2021.

  5. Modellbasierte Analysen von Fachleuten der EZB deuten darauf hin, dass die stärksten Auswirkungen einer Leitzinserhöhung auf das Wirtschaftswachstum im Durchschnitt im zweiten Jahr nach ihrer Umsetzung erreicht werden. Bis zu den stärksten Auswirkungen auf die Inflation dauert es in der Regel noch länger (zwischen drei und vier Jahre, je nach Schätzmethode).

  6. Im vierten Quartal des letzten Jahres trugen die Gewinne je BIP-Einheit im Euroraum etwas mehr als die Hälfte zu dem am BIP-Deflator gemessenen binnenwirtschaftlichen Preisdruck bei, verglichen mit einem historischen Durchschnitt von einem Drittel.

  7. Laut Angaben des ifo Instituts. Der Arbeitskräftemangel ist bei Tätigkeiten, die qualifiziertere Arbeitskräfte erfordern, tendenziell höher. Er ist aber auch in Sektoren signifikant, in denen weniger Qualifikationen erforderlich sind. Der von den Unternehmen gemeldete Arbeitskräftemangel hat in jüngster Zeit zwar etwas nachgelassen, ist aber nach wie vor ein großes Problem für die Unternehmen.

  8. Saisonbereinigtes Wachstum des Arbeitnehmerentgelts je Arbeitnehmer. Dazu gehören die Auswirkungen des Tariflohnwachstums, aber auch die Lohndrift, z. B. durch Bonuszahlungen.

  9. Siehe C. Lagarde, Der Weg vor uns, Rede anlässlich der Konferenz „The ECB and Its Watchers XXIII“, Frankfurt am Main, 22. März 2023.

  10. Für Einzelheiten siehe O. Arce, E. Hahn und G. Koester, How tit-for-tat inflation can make everyone poorer, EZB-Blog, 30. März 2023, Europäische Zentralbank.

  11. Der Indikator für die Refinanzierungskosten der Banken steigt weiter an und erreichte im März ein Niveau, das zuletzt 2013 verzeichnet worden war. Die Zinsen für Bankschuldverschreibungen liegen bei rund 4,5 % und damit so hoch wie zuletzt im Jahr 2012.

  12. EZB, The euro area bank lending survey - First quarter of 2023.

  13. Ebd.

  14. Aus der Umfrage zu den Verbrauchererwartungen geht hervor, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher teurere Anschaffungen weiterhin vermeiden (nach einem kräftigen Wiederanstieg der Nachfrage nach Waren zwischen Mitte 2020 und Ende 2021). Die einzige Ausnahme sind Urlaube, für die sie ihre Ausgaben erhöhen wollen.

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